von Hans Pilipp
Mit Hochhäusern meine ich Gebäude mit mehr als 30 Stockwerken, das heißt einer Höhe von mehr als 100 m. – Die Landesbauordnungen definieren Gebäude im Allgemeinen dann als Hochhäuser, wenn sie mehr als 22 m Höhe haben. Darüber ist keine Rettung mit Feuerwehrleitern mehr möglich und die Gebäude müssen eigene brandsichere Rettungswege haben, was den Aufwand der Erschließung wesentlich erhöht.
Bei der Menge des zur Verfügung stehenden „Spielgeldes“ spielen wirtschaftliche Überlegungen überhaupt keine Rolle mehr. Nationale und internationale Käufer, die sich in peinlicher Selbsterhebung als „anspruchsvoll“ gerierende „Avantgarde“ versteht, bilden die Zielgruppe internationaler Investoren und Developer. Es geht ausschließlich um symbolisches Kapital und Selbstinszenierung.
Keines der vielen Probleme wachsender Großstädte wird durch einen forcierten Hochhausbau gelöst. Bedient werden hier die Interessen einiger weniger sehr reicher Menschen, die in der Welt nomadisieren. Die Interessen der weit überwiegenden Bürger dieser Städte werden gerade nicht beachtet.
Als Begründungsmuster für Hochhauser werden ökonomische, ökologische und ästhetisch-symbolische Gründe angeführt.
Sehr häufig werden quasi ökonomische Sachzwänge bemüht. Mit vermeintlichen Standortnachteilen wird immer wieder argumentiert, wenn dieser oder jener Hochhausbau eben nicht genehmigt werde. Die bestehenden baulichen Ordnungen werden gerne missachtet, wenn sie mit dem gewünschten Raumbedarf kollidieren sollten.
Häufig werden sowohl ökologische Anliegen als auch Verdichtungsstrategien zur Begründung von Hochhäusern angeführt. Dabei wird außer Acht gelassen, dass das Verdichtungspotential hoher Häuser eher gering ist. Auch die mögliche Verkehrsreduktion wird häufig überschätzt: Die Ansiedlung von Hochhäusern führt zur Verdrängung der angestammten Bevölkerung, diese wird dann in die Vorstädte verwiesen.
Als dritte Begründung wird auf ästhetische und symbolische Aspekte hingewiesen. Gerade im Zusammenspiel von alter Bausubstanz und neuen hohen Häusern wird ein je angemessenes Erscheinungsbild herbeigesehnt, um einen ästhetischen Mehrwert zu generieren. Dieser folgt einem „historisch-traditionalistischen“ Kalkül, sehr zur Freude der örtlichen Tourismusindustrie.
In der kritischen Literatur werden Hochhäuser zu Recht auch als „towers of secrecy“ bezeichnet. Die Eigentümer höchstpreisiger Appartements möchten nur ungern namentlich bekannt werden. Also verstecken sie sich hinter Nummern und Briefkastenfirmen. Diese Anonymität leistet kriminellen Machenschaften aller Art, vorwiegend der Geldwäsche, Vorschub.
Die lokalen Behörden sehen gegebenenfalls wenig Anlass, hier auf Transparenz zu bestehen. Es gibt auch hierzulande keine Verpflichtung dazu.
In einen hohen Prozentsatz werden derartige Wohnungen von Menschen erworben, die keinerlei Bezug zur Gemeinde haben. Hochhäuser werden heute in aller Regel als Bürotürme, Hotels und Wohnbauten für Kaufkräftige konzipiert.
Als bauliche Ereignisse setzen sie städtebauliche Akzente („signal architecture“, „eye catcher“) und demonstrieren Macht und Status. Sie wirken als „säkulare Kirchtürme“. Tatsächlich „triumphiert dann das Design über den Stadtraum“.
Der tatsächlich knappe Grund und Boden in den Zentren großer und sehr großer Städte wird sehr gerne zu einer Verdrehung von Ursache und Wirkung benutzt: Der Preis ist eine Funktion der zulässigen Grundstücksausnutzung, vulgo der Geschossflächenzahl – und nicht umgekehrt!
Und letztere ist nicht nur abhängig von den kommunalen Planungs- und Genehmigungsbehörden, sondern in besonderem Maße auch von der Politik: Echte Hochhäuser sind in aller Regel das Ergebnis politischer Aushandlungen! Lassen diese eine höhere Nutzungsdichte zu, erhöhen sich die Bodenpreise. Schon auf kurze Sicht ist damit der Bodenspekulation Vorschub geleistet.
Hohe Häuser als Instrument der baulichen Verdichtung in städtischen Ballungsgebieten sind nur sinnvoll bis zu einer Höhe von 25 Metern, das bedeuten in aller Regel 8 Vollstockwerke. Unter Beachtung der hergebrachten Regeln besonders der BauNVO und der Bauordnungen hinsichtlich der Gebäudeabstände und der Grünversorgung der Bevölkerung ergibt sich keinerlei geringerer Bodenverbrauch.
Die Erschließungsfrage
Zu klären ist an dieser Stelle die Erschließungsfrage von Hochhäusern: Die Überwindung vertikaler Distanzen ist zeitlich und energetisch deutlich aufwändiger als eine horizontale Bewegung.
Es gilt ungefähr das Verhältnis von 5 :1! Eine 1 m lotrechte Höhenüberwindung erfordert eben soviel Energie wie 5 m auf ebenem Grund. Oder: 160 m hohe Gebäude erfordern ähnlich viel Aufwand wie die Erschließung eines 900m langen, ebenerdigen Gebäudes.
Anders ausgedrückt: „Hochhäuser sind vertikale Sackgassen“ – und wer baut schon 900 Meter lange Sackgassen, zum Wohnen zum Beispiel?
Diese Zahlenbeispiele erklären auch den überproportionalen Aufwand, Hochhäuser zu errichten und zu unterhalten. Dieser resultiert aus deutlich höheren Kosten für Gründung, Statik, Betrieb (=Energieversorgung), Logistik und Brandschutz inklusive der notwendigen Fluchtwege über große Höhen.
Die nutzbare Fläche von Hochhäusern ist durch Techniketagen, Fahrstühle und tragende Pfeiler deutlich gemindert. Und nicht zu vergessen: Das „Leben am Abgrund“ ist nicht allen Menschen angenehm. Also weichen die Außenwände der Wohnräume von den Hüllen zurück. In der Folge kommt es zu systembedingten Mehrkosten von 20 – 30% gegenüber der konventionellen Bauweise.
Die Energiebilanz von Hochhäusern ist auch heute noch extrem schlecht. Sie sind im wahren Sinne des Wortes Energieschleudern. Hier schlagen im Besonderen Heizung und Kühlung zu Buche. Wasserpumpen, flächenhafte Beleuchtungssysteme, Aufzüge tun ihr Übriges.
Baurechtliche Schwellen betreffen besonders die Gebäudeabstände und die Bestimmungen gegen Schattenwurf. Auch die „Grün“-Frage gehört hier her.
In der Umgebung von Hochhäusern nimmt die Aufenthaltsqualität deutlich ab.
Ein weiterer Nachteil sind Fallwinde und Windhindernisse, die weit in die Umgebung der Gebäude hineinwirken. Dabei gilt, dass die Windgeschwindigkeit mit der Höhe der Gebäude zunimmt.
Auch am Boden sind die Windgeschwindigkeiten zwischen den Hochhäuser bis zu viermal so hoch wie in den umgebenden Straßenzügen. Die Luft ist deutlich kühler.
Die heute entstehenden Hochhäuser sind von einer frappierenden Einfallslosigkeit besonders hinsichtlich ihrer Materialien und Außengestaltung über ihre gesamte Höhe. Die Bedeutung der Erdgeschosse für ein städtisches Leben ist den Architekten resp. ihren Auftraggebern überwiegend unbekannt.
Planungsrechtlich führt der Verzicht auf neue Baugebiete bei gleichzeitig massiver Innenentwicklung zu einer deutlichen Erhöhung der Bodenrichtwerte und damit zu zusätzlich stark steigenden Kosten im Hochhausbau.
Überwiegend leblose und nutzlose Sammelsurien von Hochhäusern besonders in Innenstädten führen zu keiner Stadtatmosphäre. Eine Kommunikation vom Boden bis zur dritten Etage ist sehr gut möglich, bis zur fünften ist sie irgendwie machbar, darüber hinaus ist sie unmöglich. Die Aufenthaltsqualität zwischen diesen Solitären ohne Bezug zu ihrer Umgebung tendiert gegen Null. Der öffentliche Raum verödet zunehmend. Er ist nur noch zu seiner raschen Überwindung von Interesse.
Hochhäuser, besonders in „Clustern“, sind geeignet, den Charakter ganzer Stadtteile zu zerstören. Das gilt auch für Sichtachsen historischer Städte und Orte.
Hochhäuser fördern in besonderem Maße die soziale Segregation. Sie wirken wie „Gated Communities“ – nur eben in der Vertikalen im Gegensatz zur sonst üblichen Horizontalen. Die angestrebte Exklusivität im „verteidigungstechnischen Sinn“ ergibt sich daraus , dass nur der in das Hochhaus hineinkommt, der das Nadelöhr des Fahrstuhls passieren darf.
Die Anteilnahme der Bewohner und Nutzer am Geschehen im öffentlichen Raum nimmt oberhalb der fünften Etage deutlich ab. Das ist offensichtlich auch intendiert. Siehe oben.
Verkehrstechnisch ist darauf hinzuweisen, dass die Zusammenballung im Nutzerrhythmus des Gebäudes zu stark belasteten Verkehrsflächen als Folge der notwendigen Garagenzufahrten und der Anlieferungen führen.
Ich komme noch einmal auf das Geld zurück, das besonders im Hochhausbau bewegt wird. Weitestgehend unabhängig von ökonomischen Überlegungen wird dieses in symbolisches Kapital investiert.
Ich meine hier nicht die Aktivitäten weltweit agierender Finanzinvestoren, die nach der Verwandlung von Wohnraum in Finanzinstrumente enorme Gewinne machen.
Seit Jahren gibt es immer wieder Hinweise, dass gerade in diesem Segment des Hochbaus große Mengen gewaschenen Geldes investiert werden. Besonders New York und London sind hier zu nennen:
Im Februar 2015 gab es in der „New York Times“ eine mehrteilige Arbeit zu den Aktivitäten dieser Art im Bereich des Hochhausbaus. Im Endergebnis entstanden obszön hohe Quadratmeterpreise ohne jeden sozialen Bezug zur umgebenden Stadt. Die Geldflüsse waren damals kaum je genau zu verfolgen. Ähnlich Beobachtungen gibt es zu London. Hier sind Veröffentlichungen von Transparency International zu erwähnen.
Was Berlin anbetrifft, verweise ich auf Veröffentlichungen in der Berliner Zeitung, wobei es nicht um Hochhausbauten ging. Das grundsätzliche Problem von Geldwäsche im internationalen Immobilien- und Baugeschäft wird evident: Bau- und Immobiliengewerbe gelten als hochgradig infiziert.
Die Frage ist also, welches Geld da in die Städte geholt wird?
Auf der Ebene der Kommunen ist das Problem nicht zu lösen. Gefragt sind die Aktivitäten der Nationalstaaten: Die Gesetze zur Verhinderung von Geldwäsche müssen nicht nur schärfer gefaßt werden, sondern dann auch konsequent angewendet werden. Hier werden in Zukunft nicht nur Banken und Notare mehr als bisher gefordert werden müssen, sondern auch die „Intermediäre“ im internationalen Immobiliengeschäft (Makler/Steuerberater u.a.). – In Deutschland haben wir in diesem Bereich eine eher lasche Gesetzgebung, die zudem nur unzulänglich angewendet wird.
Zwei Fragen sind ausnahmslos zu beantworten: Die Herkunft der Gelder und die Namen der wirtschaftlich Begünstigten. Auch neuere Korrekturen lassen noch viele Umgehungsmöglichkeiten offen.
In Berlin wird schon seit mehreren Jahren von interessierten Investoren, großen Architekturbüros und Dritten aus dem In- und Ausland sowie auch der Politik der Eindruck zu erwecken versucht, eine massive Beförderung des Hochhausbaus sei zur Lösung vielfältiger Probleme der wachsenden Stadt geeignet.
An dieser Stelle ist es wichtig, die Rolle großer und sehr großer, weltweit agierender Architekturbüros zu erwähnen:
Bevor sie zum Bau von Hochhäusern verpflichtet werden, sind eben diese häufig zuvor in die Hochhausdebatten sowie in die Planungspraxis vor Ort eingebunden gewesen, es handelt sich also um einen klassischen Interessenkonflikt! Sie betätigen sich als Experten und Berater in der Stadtentwicklung, die sie nicht sind, und gleichzeitig befördern sie durch ihre Expertise den Hochhausbau – und dann kommt der Auftrag. Namen erwünscht?: Norman Forster, Jean Nouvel, Herzog+de Meuron, David Chipperfield. In ihren Einzelwerken nehmen sie kaum je auf das gebaute Umfeld Rücksicht.
Ich erlaube mir hier auch den Hinweis darauf, dass diese Architekturbüros kaum einmal als das wahrgenommen werden, was sie tatsächlich sind: In Analogie zu den „Law Firms“ sollten wir sie als „Architecture Firms“ bezeichnen.
Erwähnung muss auch eine ganz spezifische Asymmetrie finden, nämlich die zwischen diesen weltweit tätigen Büros mit Ihrer Erfahrung und Expertise einerseits und den vor Ort handelnden städtischen Planungsbehörden und den zu Entscheidungen demokratisch legitimierten Politikern andererseits.
Ich komme auf die angeblichen Lösungen zurück, die von einem massiven Hochhausbau angeblich zu erwarten sind.
Hochhäuser sind ökonomisch unsinnig und ökologisch fragwürdig!
Gleichwohl scheint auch in Berlin ein regelrechtes Hochhausfieber ausgebrochen zu sein, das durch den erwarteten „Hochhausentwicklungsplan“ (jetzt “Hochhausleitbild“ genannt) nur schwer im Zaum zu halten ist. Hier wirken auch eine „stadtspezifische Großspurigkeit“ und ein „illusionärer Metropolenrausch“. Berlin möchte jetzt auch im „Skyline-Wettbewerb der Metropolen“ mitmischen.
New York, London und Tokio sind heute als typische „Global Cities“ zu bezeichnen. Dieser Anspruch ist mit einer nahezu unfassbaren Finanzkraft verbunden. Und dieser präsentiert sich durch konsequentes Bauen in der Vertikalen mit einer entsprechenden Skyline.
Bisher gibt es nur wenige Hochhäuser mit mehr als 100 m Höhe in Berlin: Steglitzer Kreisel, Postscheckamt Kreuzberg, Park Hotel am Alexanderplatz, Hochhaus im Kudamm-Karee, Zoofenster mit dem Waldorf Astoria Hotel und „Upper West“ in der City West.
Immer mehr Investoren und ihre international agierenden Architekturbüros streben mit gigantischen Plänen in die Stadt: Alexanderplatz, City West in der Umgebung des Bahnhofs Zoo, Nachbarschaft des Kudamms, Umgebung der O2-World, nördliche Umgebung des Hauptbahnhofs, Gleisdreieck.
Eine Hochhaus-Verbindung vom Alexanderplatz bis zur City West wird auch herbeiphantasiert.
Überraschend ist es, dass die Mehrheit dieser Planungen bereits aus den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts bzw, aus den 00er Jahren des jetzigen stammen. Es wird in großen Zeiträumen gedacht! Die aktuellen Verwaltungen haben oft gar keine Möglichkeiten zur Verhinderung mehr.
Wider besseres Wissen strebt strebt Berlin unter Vorgabe einer tatsächlichen oder vermeintlichen Dringlichkeit einen „Hochhausentwicklungsplan“ für die Stadt an. Vorgeblich soll auf diese Weise „Wildwuchs“ verhindert werden, wie alle Fraktionen im Abgeordnetenhaus betonen. Dieser ist aber bereits vorhanden. Immerhin ist die SPD so ehrlich zuzugeben, dass es im Ergebnis kein „Hochhausverhinderungsplan“ sein soll.
Der aufmerksame Bürger fragt: „Cui bono?“ – In Wahrheit braucht die Stadt gar keinen „Hochhausentwicklungsplan“ – Hochhäuser lösen keine Probleme!